Die Bad Kreuznacher Gewobau GmbH wurde 2015 vom Stadtrat mit der Erschließung der beiden Bauabschnitte „In den Weingärten“ beauftragt. Im Bauabschnitt II hakt es, weil zehn Eigentümer, denen 19 % des Areals gehören, die Erschließungskosten in Höhe von rund 2,4 Mio. € nicht anerkennen.
Nun stehen Rechtsanwälte im regen Austausch von Argumenten und Gegenargumenten, Forderungen und Gegenforderungen. Bevor es aber zu einem — angedrohten — Gerichtsverfahren kommen kann, ist erneut der Stadtrat am Zug. In einer Sondersitzung am 15. Juni 2021 soll es im nichtöffentlichen Teil um den Erschließungsvertrag zwischen Stadt und Gewobau gehen.
Dann dürfte thematisiert werden, was in der öffentlichen Diskussion zwischenzeitlich übersehen wurde, aber von Gewobau-Geschäftsführer Karl-Heinz Seeger umso nachdrücklicher betont wird: Beiden Seiten, Gewobau und Stadt, wird ein Rücktrittsrecht vom Erschließungsvertrag eingeräumt. Die Gewobau ist keinem erhöhten Risiko ausgesetzt und kann zurücktreten, wenn sie mit den zehn „Fremdanliegern“ keine Vereinbarung zur Kostenübernahme treffen kann, die Stadt kann zurücktreten, weil Fristen nicht eingehalten wurden (die allerdings unter anderem durch Mängel im Bebauungsplan hervorgerufen wurden).
Sollte es der Gewobau nicht gelingen, die ausstehenden Kostenübernahmevereinbarungen mit den Grundstückseigentümern abzuschließen, würde das Jahresergebnis der Gewobau um 2,4 Mio. € geringer (aber gleichwohl deutlich positiv) ausfallen, erläutert Geschäftsführer Seeger. Das sei kein Untergang, und von einem „finanziellen Fiasko“, wie Stadtratsmitglied Wilhelm Zimmerlin es nennt, könne daher keine Rede sein.
Zimmerlin war 2015 sowohl Mitglied des Stadtrates als auch des Gewobau-Aufsichtsrates, sodass ihm die Rücktrittsoptionen bekannt sein dürften. Doch er hält eine Sonderprüfung durch den Rechnungshof „für dringend geboten“, auch, weil er die Beachtung von „Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns“ infragestellt. Ein unterschwelliger Vorwurf, dem Karl-Heinz Seeger die seit 2001 angehäufte Zinslast von 5,1 Mio. € für die von der Stadt (zwecks Haushaltsentlastung) zu Baulandpreisen erworbenen Grundstücke gegenüberstellt: „Es bestand ein dringendes wirtschaftliches Interesse“ der Gewobau an dem Verkauf und auch an der Bebauung der Grundstücke, schon bevor sämtliche Kostenübernahmevereinbarungen einvernehmlich geklärt waren. Nicht nur der hohe Zinsaufwand habe dafür gesprochen, sondern auch der Umstand, dass die Grundstücke des Gebiets bis heute nicht bebaut und die Dürerstraße nicht durchgängig zu befahren wären. Außerdem, unterstreicht Seeger, sei die Entscheidung, nicht abzuwarten, fortlaufend mit den Gremien und mit der Stadt Bad Kreuznach abgestimmt worden.
Nun gibt es noch Forderungen nach Pachtentschädigung gegen die Gewobau und hiergegen den Vorhalt, dass solche Ansprüche bereits im Umlegungsausschuss hätten geltend gemacht werden müssen. Es gibt den Vorwurf, dass 93 €/qm für die Erschließung der Grundstücke zu hoch gegriffen seien, und die Anwort, dass sich dieser Wert bei Vergleichen im unteren Mittelfeld bewege und außerdem nur reale, im Erschließungsprozess angefallene Kosten umfasse. Es gibt Vorhaltungen der Intransparenz und mangelhaften Kommunikation, während die Gewobau Daten von Briefen, ihren Kontaktaufnahmen und von Kontaktverweigerung der Gegenseite nennt.
Das Klima ist aufgeheizt - möglicherweise durchaus gewollt. Den anwaltlichen Schreiben ist zu entnehmen, dass die Angelegenheit das Potenzial für einen oder mehrere Prozesse vor dem Verwaltungsgericht birgt - gleichgültig, zu welcher Entscheidung der Stadtrat am Dienstag kommen mag. Denn selbst eine Modifizierung des Erschließungsvertrages zwischen Stadt und Gewobau durch einen Rücktritt der Gewobau bei den zehn umstrittenen Fällen scheint vor dem Klageweg nicht sicher zu sein (obwohl damit die Hauptforderungen der zehn Parteien zu erfüllen wären).
Gewobau-Geschäftsführer Seeger liegen zwei Dinge besonders am Herzen: Dass die Erschließungskosten den zehn Grundstücksbesitzern nicht „geschenkt“ werden und dass die Diskussion auf eine Ebene zurückgeführt wird, die von Respekt geleitet wird, statt von Versuchen, der Gewobau und schlussendlich ihm zu schaden.
Thomas Gierse
Das Archivfoto (April 2021) zeigt einen kleinen Ausschnitt des Baugebiets „In den Weingärten II“ sowie - jenseits der Dürerstraße - Teile des Bauabschnitts I.