Seit 27 Jahren betreibt INTERPLAST in Nepal eine Spezialklinik für Plastische Chirurgie und Verbrennungen, die für viele sozial benachteiligte Menschen die letzte Rettung ist. Das Bad Kreuznacher Arztehepaar André und Eva Borsche fuhr nun zum wiederholten Mal dorthin, nicht nur um zu helfen, sondern auch um den Wechsel in der deutschen Leitung zu begleiten. Das Schicksal der vielen verletzten Kinder prägt den Geist dieses wunderbaren Hospitals, ein Vorzeigeprojekt für unsere seit Jahren geleistete Entwicklungshilfe.
Eva und André Borsche (FOTO) sandten uns diesen Bericht zu:
Feuchtkalter Morgennebel liegt an diesem Novembertag über dem grün bewachsenen Tal in Nepal, nahe der Hauptstadt Kathmandu. Am südlichen Hang wird langsam die Silhouette des INTERPLAST-Krankenhauses sichtbar. Langsam beleuchtet das erste Sonnenlicht drei lange Gebäude in Ziegelrot: das Patienten-, das Operations- und das Gästehaus, die einen großen Garten umrahmen. Hein Stahl aus Hennef, Ingenieur bei Interplast, hat das Krankenhaus hier vor 27 Jahren aus einem Ziegelstall mit Kartoffellager erbaut. Quer durch das Tal, unter dem Fluss hindurch hat er damals mithilfe der Männer aus den umliegenden Hütten eine Wasserleitung verlegt, um das Hospital und das Dorf aus der Quelle von der anderen Seite des Flusses zu versorgen. Strom brachte ein Generator aus zwei alten russischen Lokomotiven. Eine hochleistungsfähige Müllverbrennungsanlage entstand aus zwei ausgedienten Ölheizungsbrennern aus deutschen Haushalten. In den Westhang, hinter das Gästehaus modellierte Hein Stahl eine terrassierte, biologische Abwasseranlage, die oben im Krankenhaus verdrecktes Abwasser aufnimmt und unten regelmäßig vom Gesundheitsamt kontrollierte Trinkwasserqualität abgibt.
Die Bauarbeiten waren 1998 noch im vollen Gange, da behandelten die Krankenschwester Christa Drigalla und ein emeritierte Professor der Mund-, Kiefer- und Gesichtsheilkunde aus Köln schon die ersten Kinder aus armen Familien mit Lippen- oder Gaumenspalten. Eiskalte Winter, Lungenentzündung und kaum etwas zu essen konnten die drei Pioniere nicht entmutigen. Ausdauer, Selbstdisziplin und ein großes Herz für die bitterarme nepalesische Landbevölkerung ließen sie durchhalten. Mithilfe häufiger Arbeitsaufenthalte befreundeter INTERPLAST-Ärzte, Containerverladungen und „Ameisentransport“ (jeder der dort hinkommt, bringt aus Deutschland etwas mit), entstand ein Krankenhaus mit heute 90 nepalesischen Angestellten und 50 Patientenbetten.
Inzwischen kämpfen wir weniger mit den kalten Ostwinden, sondern mit staatlichen Listen und Auflagen, um unser kleines Hospital zu stabilisieren und versuchen Anschluss an die entstehende allgemeine Krankenversicherung zu bekommen. Wenn auch die Armut in den letzten Jahrzehnten nicht weniger geworden ist, so wird sie nun statistisch erfasst und verwaltet. Es gibt drei Armutsklassen: Arme, die kein Geld für Kleidung oder Schulgeld haben, dann völlig Mittellose, die in Lumpen Hunger leiden und schließlich die „ethisch Armen“, Unberührbare aus der untersten Kaste.
Hier sind die Menschen ebenbürtig und gleich
Sobald aber diese Menschen das Tor zum INTERPLAST-Hospital durchschritten haben, sind sie ebenbürtig und gleich: jeden von ihnen erwartet eine hochkarätige medizinische Versorgung, ein blühender Garten mit Schaukel und Rutschbahn und eine hingebungsvolle geduldige Pflege, durch die liebevollen Hände der Krankenschwestern. Dieses Krankenhaus ist eine Oase des Friedens und der Mitmenschlichkeit im auch in Nepal immer lauter und hektischer werdenden „modernen Leben“. Durch die selbstlosen Gaben unserer Spender dürfen wir hier relativ frei von ökonomischen Zwängen und ohne durch Geld diktierte Zeitnot, den leidenden Menschen in unseren Fokus nehmen, seine Bedürfnisse zum Maßstab unseres Handelns machen und allein seine Heilung uns als Ziel unseres Tun setzen.
Die Neuzugänge: verbrannte Kinder, täglich zwei bis vier
An diesem Novembermorgen regt sich nun langsam Leben in den flachen Gebäuden. Gegen die Kälte der Nacht sind unsere kleinen Patienten in drei, vier Decken eingerollt. Großvater, Mutter oder Schwester, die während des gesamten Aufenthaltes unsere kleinen Patienten betreuen, rollen ihre dünnen Schaumstoffmatten zusammen, auf denen sie die Nacht auf dem kalten Betonboden verbracht haben. Um Punkt acht beginnt die Morgenkonferenz der Ärzte. Der Nachtdienst berichtet von drei Neuzugängen: verbrannte Kinder, wovon es täglich zwei bis vier gibt.
Zwei auf gutem Weg
Hilfe in einer der weltbesten Verbrennungskliniken
So z.B. der eineinhalbjährige Roman, gestern noch unbeschwert juchzend, liegt er jetzt schwerverletzt wie apathisch in seinem Bett. Er hatte unter begeisterten Zurufen seines Bruders die ersten selbstständigen Schritte gewagt und war dabei in das Feuer gefallen, das die Mutter zum Aufwärmen angezündet hatte. Voller Hoffnung machte sie sich nun auf den weiten beschwerlichen Fußmarsch ins INTERPLAST-Krankenhaus auf. Dort fanden sie trotz ihrer Mittellosigkeit warmherzige Aufnahme und Hilfe. Vorsichtig wurden Hose, Windel und Hemd vom verbrannten Körper gezogen. Flinke Schwesternhände wickelten saubere Verbände um die frischen Wunden. Das brachte sofortige Erleichterung und Mutter und Kind durften die Nacht im warmen Krankenhausbett verbringen. Am nächsten Morgen wurde nun die Operation für den kleinen Roman geplant. Die Wunden müssen gesäubert und die Haut ransplantiert werden. Die Narkose wird sanft und sicher eingeleitet. Mutter und Kind sind, ohne es zu wissen, in einer der weltbesten Verbrennungskliniken untergekommen. Die naturnahe, landestypisch ländliche Einrichtung lässt nicht auf den modernsten Standard hinter den OP-Türen schließen. Mit der jahrelangen Erfahrung dank der vielen internationalen Experten sind die nepalesischen Ärzte in unserem Hospital bestens geschult, auch mit schwierigsten Verletzungen fachgerecht umzugehen.
Hingabe, Geduld und Beharrlichkeit aller Mitarbeiter sind Wurzeln des Erfolgs
Die Unterbringung von Patienten und Gästen ist anspruchslos. Unter dem Wellblechdach vor der einfachen Kantine sitzen Ärzte, Gärtner und in Verbände eingehüllte Patienten am selben Tisch. Jeder wird mit dem Notwendigen versorgt. Keine Extras für niemanden. Die jungen Assistenzärzte schätzen die hervorragende Teamarbeit und die flache Hierarchie. Patient und Behandler begegnen sich auf Augenhöhe. Mit unerschöpflicher Geduld erläutern unsere nepalesischen Kollegen den teilweise des Schreibens und Lesens nicht mächtigen Vätern oder Müttern der kranken Kinder das medizinische Vorgehen. Jeder Schritt muss nachvollziehbar sein. Noch so naive Bedenken werden ernst genommen, jeder dort abgeholt, wo er steht. Überhaupt liegt das Geheimnis des Erfolges und der extrem niedrigen Infektionsrate hier im Hospital an der Hingabe, der Geduld und der Beharrlichkeit aller Mitarbeiter.
Immer wieder erleiden Kinder schwerste Verbrennungen
So kann Amir, der sich vor vier Wochen beim Tragen eines Heißwasserkessels den Unterleib verbrühte, Tag für Tag besser auf seinen, nun transplantierten, jedoch steifen und schmerzenden Beinen stehen und ein wenig gehen, wobei jeder Schritt wie Stiche mit Messern schmerzt. Er beweist dabei dieselbe tapfere Beharrlichkeit wie seine Behandler.
Trotz heftiger Schmerzen ein Leben wie im Paradies
Samanthas schwarzen Zöpfe hatten beim Suppe rühren Feuer gefangen. Der halbe Kopf stand in Flammen. Zur Heilung sind monatelange Prozeduren geplant. Die gesunde Kopfhaut wird mit Expander-Ballons unter der Haut aufgedehnt, um mit ihr die narbig verbrannten haarlosen Areale zu ersetzen. Unter dem hohen Turban aus ausgewaschenen Bandagen lugen freundlich neugierige Augen hervor. Für die verbrannten Kinder bedeuten die Monate der Heilung ihrer Wunden, der Kette von Operationen Tage und Wochen und trotz heftiger Schmerzen ein Leben wie im Paradies. Jeden Tag Krankengymnastik mit Ballspielen, Turnen auf der Matte oder Versteckspiel zwischen den zum Trocknen aufgehängten flatternden Laken auf dem offenen Dachboden, Malen und Gehen üben. Vom Bett zum Rollstuhl, an den Gehwagen bis zu den ersten Schritten im Hospitalgarten. Immer von Lob und Bestätigung der Physiotherapeuten begleitet. Nach weiteren Wochen kann die Rutsche, die Schaukel oder das neu aufgestellte Trampolin bespielt werden. Die Älteren greifen zum Tischtennisschläger, während Mütter, Väter und Großväter stolz und glücklich, mit Stolz und Dankbarkeit von der Picknickdecke aus die Fortschritte ihrer Kinder begleiten.
Ein Jahr zuvor stand Niki kurz vor der Amputation eines Beines
Nachdem alles verheilt ist, kehren die Kinder gerne für die nachfolgenden Wundkontrollen an den Ort ihrer ersten Hilfe zurück: Dreieinhalb Tage war Niki und ihr Vater zu Fuß und im Bus unterwegs, um uns wiederzusehen. Vor einem Jahr sollte ihr Bein amputiert werden. Doch durch einen komplizierten mikrochirurgischen Eingriff mit Knochentransplantation konnte das Bein gerettet werden. Mithilfe eines orthopädischen Schuhes kann sie nun hüpfen, laufen und tanzen, ohne anderen Kindern nachzustehen. Nächstes Jahr kommt sie wieder, um sich einen neuen Schuh anpassen zu lassen.
Sujal hatte total verkohlt in der Ecke eines Tage zuvor abgebrannten Hauses gelegen. Im INTERPLAST-Hospital wurde sein kleiner Körper durch Liebe, Expertentum und Hingabe gerettet. Nun war noch die plastische Korrektur von Narben am Hals und an der Hand angezeigt. Wie „nach Hause kommen“ war es für ihn, als er um die Ecke die vielen spielenden Kinder im Krankenhausgarten erblickte und gleich mitspielen wollte.
Fröhliches Geschrei klingt vom Fußballplatz vor dem Krankenzimmer
Umar muss noch im Bett liegen bleiben. Sein Ball war beim Spielen in das kleine Feuer im Hinterhof der Familie gefallen, er wollte ihn nicht den Flammen überlassen und verbrannte so mit 63% seiner Körperoberfläche. Die äußerst erfahrenen Ärzte des Hospitals nahmen Haut von allen noch intakten Stellen seines kleinen Körpers, um die Wunden zu bedecken. Doch es reichte nicht. Da bot die Mutter an, einen Stück ihrer Haut vom Oberschenkel abnehmen zu lassen. Das ist zwar keine Lösung für die Dauer, doch wenigstens vorübergehend ist ihr Sohn so gegen Infektion und Schmerz geschützt. Durch tapferes Ertragen des täglichen Verbandwechsels kann eine drohende Blutvergiftung vermieden werden. Umar erholt sich zusehends und darf vorsichtig in den Hospitalgarten, erst nur auf einer Decke im Gras liegen und dabei den anderen zuschauen. Doch nach zwei Wochen wird auch er wieder herumtollen können. Schon lauscht er aus seinem Bett dem „Hallo“ und fröhlichem Geschrei vom Fußballplatz vor seinem Krankenzimmerfenster.
Hein Stahl sagt Adieu nach 27 Jahren Leitung des Krankenhauses
Hein Stahl wird das fröhliche Kinderlachen noch lange in den Ohren klingen. 27 Jahre hat er dem Hospital gedient und damit Hunderten Kindern eine Chance auf ein unbeschwertes Leben gegeben. Nun geht er für immer nach Deutschland zurück und übergibt das Zepter an Prof. Albert Benzing. Wehmut macht sich breit. Doch er fliegt mit glücklichem Herzen. „Einen großen Schatz trage ich in mir“, sagt er, „die Erinnerung und das Bewusstsein, so vielen Menschen geholfen zu haben.“ Auch wir sagen Dhanyabad – Danke, dass wir an diesem wunderbaren Projekt mitwirken und mithelfen dürfen.
Eva und André Borsche
Weitere Informationen und Möglichkeiten der Unterstützung: https://interplast-badkreuznach.de