Der umstrittene Hallen-Neubau in der Planiger Straße wirkt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Koblenz auf die benachbarte Wohnbebauung nicht erdrückend. Gleichwohl habe die Stadtverwaltung Bad Kreuznach die Baugenehmigung wegen teilweise unterschrittener Abstandsflächenvorschriften so nicht erteilen dürfen.
Immobilien befinden sich in einer „Gemengelage“
Wesentlich scheint für das Verwaltungsgericht zu sein, dass die beiden fraglichen Immobilien sich — mit Blick auf die Gebäudearten in der Nachbarschaft — in einer sogenannten Gemengelage befinden. Dies sind Flächen, deren Zweckbestimmung - etwa als reines Wohngebiet oder als Industriegebiet - nicht abschließend festgelegt ist. Denn ein Bebauungsplan, der solche Zwecke verbindlich definieren würde, existiert für dieses Areal nicht.
Und dass der Flächennutzungsplan die Flächen als gewerbliche Bauflächen ausweise, sei hier nicht relevant. Denn diese Festsetzung sei keine verbindliche Entscheidung hinsichtlich der Nutzungsart, sondern lediglich „die Festlegung der Grundzüge der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung“. Der Flächennutzungsplan sei nur die Grundlage für die einzelnen Bebauungspläne, in denen erst ein bestimmter Gebietstyp festgesetzt werden könne.
Es gilt ein erhöhtes Maß für Abstandsflächen
In Abhängigkeit von der genehmigten Wandhöhe (11,50 m) muss in der „Gemengelage“ ein anderer, höherer Abstand zur Grundstücksgrenze eingehalten werden als in einem Industriegebiet. Es wurde ein Abstand zur Grundstücksgrenze von 4,20 bis 4,60 m genehmigt. Doch 4,60 m wäre laut Verwaltungsgericht der Mindestabstand gewesen, der nun „auf einem Teilstück zur rückwärtigen Grundstücksgrenze der Kläger an der engsten Stelle lediglich“ um 40 cm unterschritten werde. „Diese Unterschreitung der Abstandsfläche führt zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung und zu einer Verletzung der Kläger in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten.“
Wie sehr diese Beeinträchtigung „spürbar“ sei, spiele hier ebensowenig eine Rolle wie die von der beklagten Firma Pall angeführten Aspekte, dass das Bauamt eine „Abweichung“ (Ausnahmegenehmigung) hätte erteilen können oder dass die Wohnhausbesitzer ihrerseits an einer Grundstücksgrenze das Abstandsgebot unterschreiten würden. Ebensowenig könne die Unterschreitung der Mindestabstandsfläche wegen ihrer geringen Fläche von nur einem Quadratmeter vernachlässigt werden.
Kein "Einmauerungseffekt"
„Mit Blick auf etwaige Folgeverfahren hält die Kammer es für angezeigt festzuhalten, dass nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen einer erdrückenden Wirkung des Vorhabens gegenüber dem klägerischen Grundstück nicht anzunehmen ist.“
Hiermit zielt das Gericht auf eine mögliche privatrechtliche Auseinandersetzung in Fragen des Schadenersatzes ab. Dazu heißt es in der Gerichtsentscheidung: „Von einer erdrückenden Wirkung ist nur dann auszugehen, wenn die baulichen Dimensionen des ,erdrückenden’ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig sind, dass das Bauvorhaben das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt und ein Gefühl des Eingemauertseins hervorruft. Von einem ,Einmauerungseffekt’ kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn das betroffene Grundstück an wenigstens zwei Seiten von einem dominanten Bauwerk umfasst wird … Diese Voraussetzungen liegen in Bezug auf das Wohnhaus der Kläger nicht vor. … [Es] … grenzt nur auf einer Länge von 5,40 m an eine – noch dazu die rückwärtige – Seite des klägerischen Grundstücks an. Zudem wird eine Verschattung ihres Wohngebäudes durch das nördlich gelegene Vorhaben nicht hervorgerufen.“
Gegen die Entscheidung kann die Zulassung der Berufung beantragt werden.
(Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 23. März 2022, 4 K 1009/21.KO)
Thomas Gierse
Das Foto (privat) entstand im Mai 2021 in der Bauphase der Firmenhalle.