Bis 2040 will Rheinland-Pfalz klimaneutral sein. Ab dann darf, was immer die Menschen in ihrem Zuhause, unterwegs oder bei der Arbeit tun, insgesamt das Klima nicht weiter beeinflussen. Von der Wohnungswirtschaft erfordert diese Zielsetzung tiefgreifende Veränderungen. Wege dorthin und die Kosten waren Thema einer Fachtagung in Bad Kreuznach.
Wie Klimaneutralität im Neubau möglich wird, ist in Bad Kreuznach dank Gewobau und FutureHaus bekannt. In deren Solarquartier macht das Zusammenspiel von Bauweise und Lüftung, Erdwärme und Fotovoltaik die Wohnhäuser unterm Strich sogar zu Energieproduzenten. Ganz andere Anforderungen richtet der Klimaschutz aber an die Ertüchtigung von Bestandsbauten, etwa von Mehrfamilienhäusern aus den 60er- und 70er-Jahren. Dort sind die Mieten in aller Regel erschwinglich, was sich mit der Umsetzung von Maximalforderungen für den Klimaschutz schlagartig ändern könnte.
Bezahlbarkeit bleibt der Anspruch
Die Mieten bezahlbar zu halten, sei der Anspruch der sozial orientierten Wohnungswirtschaft, erklärte Karl-Heinz Seeger, Geschäftsführer der Bad Kreuznacher Gewobau und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft rheinland-pfälzischer Wohnungsunternehmen, in seiner Begrüßung (FOTO oben). Die Aufgabenstellung umriss er als „gewaltig“ und dermaßen umfassend, dass man geneigt sein könnte aufzugeben. Dies allerdings widerspräche dem Selbstverständnis einer sozial und ökologisch handelnden Wohnungswirtschaft, sodass „Ärmeln hochkrämpeln“ sinnvoller erscheine.
Hierfür stehe auch die Veranstaltung der Wohnungswirtschaft. Nach einer langen Phase der konstanten Entwicklung sei die Wohnungswirtschaft jetzt in eine Zeit eingetreten, in der sie es nur noch mit Variablen zu tun habe. „Wir probieren, was möglich ist“, sagte Seeger mit Verweis auf das Solarquartier.
Ministerin Katrin Eder und Karl-Heinz Seeger (Gewobau und VdW Rheinland Westfalen) vor E-Autos, die Teil des Solarquartier-Konzepts sind.
Als ein Best-Practice-Beipiel für klimafreundliches Bauen beschrieb Oberbürgermeister Emanuel Letz das Solarquartier, wohin eine Nachmittagsexkursion die Teilnehmer*innen der Veranstaltung führte. Dort stieß auch Klimaschutzministerin Katrin Eder hinzu, die das Quartier in den höchsten Tönen lobte: Was in diesem Neubaugebiet versammelt sei, müsse künftig überall in Deutschland und eigentlich auf der ganzen Welt so laufen. Kurzum: ein „absoluter Leuchtturm in Rheinland-Pfalz“, ein Projekt, das alle Sektoren miteinander verkoppele, nämlich Heizenergie aus Umgebungswärme, Strom aus Fotovoltaik mit Überschussproduktion, die unter anderem für E-Mobilität genutzt und in den Fahrzeugen gespeichert werden kann.
Mutmacher vor „wahnsinnig großen Herausforderungen“
Lösungen wie das Solarquartier ermutigten sie, die „wahnsinnig großen Herausforderungen“ im Altgebäudebestand anzugehen, sagte die Ministerin. In einer Videobotschaft zum Auftakt der Veranstaltung bezeichnete sie den Gebäudebestand als „schlafenden Riese“ — weil hier, im Vergleich zum zweiten Sorgen bereitenden Sektor, dem Verkehr, die Diskussion erst verspätet beginne. So sei die Tagung ein Meilenstein angesichts des Ist-Zustands von mehr als 80 % mit Erdgas oder Öl beheizten Wohngebäuden in RLP.
Zugleich sei Rheinland-Pfalz diejenige Region Deutschlands, die heute durch den Klimawandel am stärksten betroffen sei, mit einer Erhitzung um bereits 1,6 Grad, mit einerseits Dürren und Wassermangel (wie derzeit im Rhein zu erkennen), andererseits Starkregen wie bei der furchtbaren Flutkatastrophe im Ahrtal. „Das sind alles real existierende Hinweise, dass die Wetterextreme immer stärker und immer häufiger werden. Der Klimawandel ist da.“
„Großes Interesse am Erreichen der Klimaziele“
Das Interesse an der Erreichung der Klimaziele sei in der Wohnungswirtschaft groß, bekräftigte Dr. Axel Tausendpfund, Vorstand des VdW südwest. Zugleich bewege man sich in einem Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen, die Klimaziele zu erreichen und das Wohnen bezahlbar zu halten.
Die Klimaziele zu realisieren sei eine der größten Herausforderungen in der Bundesrepublik in den nächsten Jahrzehnten, Energie und Wärme seien hierfür der entscheidende Hebel. „Es ist völlig klar, dass wir es schaffen müssen, komplett auf regenerative Energien umzustellen, denn sonst haben wir keine Chance, die Klimaziele zu erreichen.“ Hierfür brauche es ein gewisses Maß an Energieeffizienz der Gebäude. Über dieses Maß gebe es Diskussionen, nicht aber über die grundlegende Notwendigkeit, die Wohnungsbestände ertüchtigen zu müssen. Die Suche gelte dem besten Weg zur Erreichung beider Ziele, Klimaschutz und Bezahlbarkeit. Dr. Tausendpfund nahm hierzu die Einschätzung der Ministerin zum innovativen Solarquartier auf: „Leuchtturmprojekte zeigen im Kleinen sehr gut, was dann im Großen möglich ist.“
>> Fachtagung in Bad Kreuznach
„Energie- und Wärmeversorgung von Wohngebäuden“ war das Thema der Fachtagung am Dienstag, 7. März 2023, im Leonardo-Hotel in Bad Kreuznach. Dazu hatten der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen (VdW Rheinland Westfalen) und der Verband der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft (VdW südwest) in Kooperation mit der Energieagentur Rheinland-Pfalz eingeladen. Etwa 80 Fachleute aus der Wohnungswirtschaft nahmen an der Tagung teil.
Thomas Gierse