Zum Abschluss des ersten Tagesordnungspunktes in der Sondersitzung des Bad Kreuznacher Stadtrats am 15. Juni konnte einem Beobachter angesichts der offensichtlichen Ratlosigkeit von Jörg Fechner und Karl-Heinz Delaveaux, beide sind Mitglied auch des Gewobau-Aufsichtsrates, ein Brecht-Zitat in den Sinn kommen.
„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“ — wird OB Kaster-Meurer doch noch für den Aufsichtsratsvorsitz kandidieren (müssen), nachdem der Stadtrat sich nicht auf einen Weisungsbeschluss für die Wahl einigen konnte?
In zwei Wahldurchgängen hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende Manfred Rapp nicht die einfache Mehrheit erzielen können, die für den Weisungsbeschluss notwendig gewesen wäre (hanz berichtete). In einer Sitzungsunterbrechung fanden die Fraktionsvorsitzenden zu diesem Verfahren für den weiteren Fortgang: Es solle zur Abstimmung gestellt werden, dass
A) die vom Stadtrat entsendeten Aufsichtsratsmitglieder am Mittwochabend ihr Wahlrecht ohne eine Bindung an eine Weisung ausüben werden (vorgeschlagen von Jürgen Locher, Die Linke) oder
B) in der laufenden Sitzung ein erneuter Wahlgang, auch mit weiteren Vorschlägen, durchzuführen sei (vorgeschlagen von Manfred Rapp, CDU, und Wilhelm Zimmerlin, Büfep).
Dabei solle für den einen oder den anderen Vorschlag gestimmt werden.
Zunächst entspann sich eine Diskussion darüber, ob Vorschlag A) dem Stadtratsbeschluss zur Entsendung zuwiderlaufe und ob es sich somit um eine Absetzung des Tagesordnungspunktes in seinem originären Inhalt handele. Man würde einen Formfehler begehen, meinte Norbert Welschbach (CDU), der „schon jetzt“ dagegen Protest einlegte. Die Oberbürgermeisterin wiederholte die Einschätzung von Stadtrechtsdirektorin Häußermann, dass es sich nach dem vollzogenen, aber gescheiterten Wahlgang um einen Änderungsbeschluss, für den eine einfache Mehrheit reicht, handeln würde.
Jürgen Locher (Die Linke) erinnert daran, dass jedes Ratsmitglied zu jedem Tagesordnungspunkt einen Änderungsantrag stellen könne, was er dann tat: Rücknahme des Weisungsbeschlusses und Delegieren der freien Wahlenscheidung an die Aufsichtsratsmitglieder. In zwei Wahlgängen habe sich der Stadtrat ausführlich, aber ergebnislos, mit dem Weisungsanliegen befasst, weshalb er nun den Änderungsantrag stelle.
Anderer Meinung war Dr. Bettina Mackeprang (CDU-Fraktion), die sagte, dass der Beschluss, eine Weisung zu erteilen, nicht einfach nicht mehr gelten und widerrufen werden könne. Dies wäre im Prinzip eine Absetzung eines Tagesordnungspunktes, „weil, das soll ja jetzt hier weg“. Dafür bedürfe es auch nach Eintritt in die Tagesordnung einer Zweidrittelmehrheit.
Oberbürgermeisterin Kaster-Meurer antwortete, dass die zwei von der Gemeindeordnung vorgesehenen Wahldurchgänge vollzogen worden seien. Danach könne es einen erneuten Wahlgang geben, den Antrag dazu habe Wilhelm Zimmerlin gestellt.
Die Alternativabstimmung — alternativ, weil es kein Einigung darüber erzielt wurde, ob über A) oder B) zuerst abgestimmt werden solle — erbrachte schließlich dieses Ergebnis:
Variante A), der erneute Wahlgang, erhielt 19 Jastimmen (von CDU, Afd; Büfep/FWG und Lothar Bastian - Die Grünen)
Variante B), Verzicht auf das Weisungsrecht, erhielt 22 Jastimmen (von SPD, Grünen, Linke, PBK, FDP und Faire Liste).
Es gab eine Enthaltung. Somit werden die Entsandten des Stadtrats in der Aufsichtsratssitzung am Mittwochabend, 16. Juni 2021, ohne Weisung abstimmen.
Jörg Fechner (AfD, Mitglied des Aufsichtsrates) räumte ein, mit Blick auf die bevorstehende Sitzung verwirrt zu sein. Auch dort werde es voraussichtlich nur den einen Kandidaten Manfred Rapp geben, mutmaßte er, denn die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende, Oberbürgemeisterin Kaster-Meurer, habe schließlich nicht kandidiert. Was, wenn sich die Situation wiederhole? Darauf antwortete Dr. Kaster-Meurer knapp, dass dies Sache des Aufsichtsrates sein werde. Fechner hakte nach: „Schließen Sie ausdrücklich aus, Vorsitzende des Aufsichtsrats zu werden?“ Die OB wiederholte, dass dies im Aufsichtsrat geklärt werde. Ähnlich bohrte Karl-Heinz Delaveaux nach und musste einsehen, dass diese Frage wohl bis zur Aufsichtsratssitzung am Mittwochabend offen bleiben würde.
Thomas Gierse