Der SPD-Stadtverbandsvorsitzende Günter Meurer beschrieb sich selbst nach seiner Wiederwahl bei der Mitgliederversammlung am 3. November als „kampfeslustig“. Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer vermied am selben Abend zwar jeglichen zitierfähigen Hinweis auf ihre Lust oder Unlust, noch einmal als OB kandidieren zu wollen. Aber ihre Rede vermittelte stark den Eindruck, dass die Themen der Stadt sie nicht loslassen und sie weitere acht Jahre darauf verwenden möchte.
„Was ist kommunalpolitisch unser Job?“, fragte Kaster-Meurer zu Beginn ihrer Rede. Ihre Einschätzung dazu sei: „Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen in dieser Stadt gut leben können“ — und auch gerne leben können.
„Typisch sozialdemokratisch“
In einer Stadt mit sehr starkem Zuzug heiße dies, diesen Menschen eine neue Heimat zu bieten, und dafür zu sorgen, dass sie gut angenommen werden. Dies sei ein typisch sozialdemokratischer Ansatz — der sich am besten in kleineren Quartieren umsetzen lasse. Denn dort, wo man einander kennt, könne man sich unterstützen und wisse auch, wofür man sich einbringt. Die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig — auch künftig — eine verlässliche Unterstützung ist. „Es sind für mich 100-prozentig sozialdemokratische Eigenschaften und Werte, dass man auch mal links und rechts guckt und fragt: Wie geht es eigentlich dem anderen?“
Von „wahnsinnig großen“ und noch wachsenden Herausforderungen sprach Kaster-Meurer, von zu knappen finanziellen Ressourcen und zunehmenden Aufgaben, von einem Haushalt im Umfang von rund 150 Mio. € und davon zirka 6,5 Mio. € sogenannte freiwillige Ausgaben. „Wir haben kaum Spielraum“, konstatierte die OB und zog daraus den Schluss: „Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns engagieren, dass wir für die Werte, die uns allen gemeinsam sind, auch tatsächlich Möglichkeiten der Umsetzung finden.“
Engagement für Familien und Kinder
Ein Beispiel sei die sich öffnende Schere bei der Bewältigung der Pandemiefolgen in jenen Familien, wo Kinder ohne die technischen Voraussetzungen für den Fernunterricht und ohne familiäre Unterstützung abgehängt worden seien. Dies sei kaum noch zu kompensieren. An Michael Simon MdL richtete sie die Bitte, das 2022 auslaufende Bundesprogramm „Aufholen nach Corona“ auf Landesebene fortzusetzen.
In dieser Situation sei es aus ihrer Sicht „immens wichtig, dass wir als Stadt Bad Kreuznach, mit einer ganz anderen Sozialstruktur als im Landkreis, ein eigenes Jugendamt haben — damit wir steuern können.“ Mit Eitelkeit habe das nichts zu tun, sondern mit Unterstützung und „echten Chancen“ für die Kinder.
„Und wir brauchen sie“, betonte Kaster-Meurer mit Blick auf Kinder und Jugendliche einerseits und den Fachräftemangel andererseits‚. Was Bad Kreuznach hingegen nicht brauche sei die Koppelung Armut > Perspektivlosigkeit > Kriminalität. Deshalb sei es ein ganz elementares Thema der SPD Bad Kreuznach, „dass wir immer wieder für dieses Jugendamt kämpfen“.
Wohnen und Miete
Zum drängenden Thema „bezahlbarer Wohnraum“ verwies Kaster-Meurer auf die Notwendigkeit, über die örtlichen Wohnbaugesellschaften hinaus mit privaten Investoren zusammenarbeiten zu müssen, insbesondere beim Geschosswohnungsbau. Wohnungssuche sei Thema in jeder ihrer 14-täglichen Sprechstunden: „Wir brauchen Mieten, die den Familien nicht den Hahn abdrehen“ — und dieser Bedarf betreffe mittlere und kleine Einkommen gleichermaßen. Hier rede man nicht von einem bestimmten Klientel, so die Oberbürgermeisterin, sondern von der Hälfte der Bevölkerung“. Dies müsse der Stadtrat begreifen.
Im Wohnungsbau wie auch in der Wirtschaftsförderung sei es wichtig, Investoren gut zu behandeln. Die Stadt verliere Betriebe, die keine ausreichenden Flächen mehr finden. Umso mehr müsse man auf die Betriebe achten, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben: „Wirtschaftsförderung hat auch mit persönlicher Ansprache zu tun, damit Betriebe sehen, dass sich die Kommune kümmert.“
Klimaschutz im Ort
Betriebe im Ort zu halten und das Auspendeln zu verringern habe auch mit Klimaschutz zu tun — „einem Riesenthema“, teuer und anspruchsvoll, wenn der Klimaschutz sozialverträglich gestaltet werden solle. Dabei gehe es um alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bad Kreuznach, aber auch um „heute“, dann das Verfassungsgerichtsurteil zum Klimaschutzgesetz habe die Option des Abwartens genommen. Die Stadt versuche, viele Bausteine zusammenzulegen, die das 2016 im Stadtrat beschlossene Integrierte Verkehrsentwicklungskonzept (IVEK) vorgebe. Zum Beschluss vor fünf Jahren habe sie gesagt: „Sie wissen nicht, was sie tun“, denn in der Konsequenz gehe es darum, den Straßenraum für die verschiedenen Verkehrsarten neu aufzuteilen. Beim derzeitigen Status, die Autostadt Bad Kreuznach in eine „moderne Mobilitätststadt“ zu verändern, bringe alles, was zwischen Start- und Zielpunkt liege, nur Ärger. Was auch daran zu sehen sei, „dass manche gar nicht begreifen, dass die Mobilitätsstation zukunftsgerichtet ist“.
Stadtverband: Kritik an konservativer Blockadehaltung
Dem Verkehr hatte zuvor auch Günter Meurer (FOTO) einen größeren Teil seiner Rede gewidmet. Er monierte die hoch emotional geführten Diskussionen und „Argumente von gestern“ sowie die Neigung zur Skandalisierung, wenn etwa (wie jüngst) zu einer geplanten Baustelle (B 41) noch eine nicht vorhersehbare (Planiger Straße) hinzukommt. Zugleich würden wichtige Projekte wie der Ausbau des Fleischhauer-Kreisverkehrs („ein Nadelöhr“) im Stadtrat blockiert. Für das Nebeneinander der verschiedenen Verkehrsmittel („Modal Split“) werde das IVEK in den nächsten Jahren der rote Faden sein. Denn, so Günter Meurer, das Grundrecht auf Mobilität und Freizügigkeit werde eben nicht durch die absolute Bevorzugung eines Verkehrsmittels im Straßenbild verwirklicht, sondern durch das Miteinander.
Beim Thema Bauen und Wohnen kritisierte Meurer die CDU für ihre Blockade bei wichtigen Themen: bei einer Sanierungsgesellschaft für die Neustadt (obwohl es sich um einen Vorschlag von MdL Helmut Martin - CDU - handelte), beim Geschosswohnungsbau oder auch bei dem nun in Sanierung befindlichen Brückenhaus, dessen von der SPD gewünschten Ankauf durch die Stadt die CDU vereitelt habe. Mit dem Effekt, so Meurer, dass die Stadt dem damaligen Käufer nun 90.000 € Sanierungsunterstützung zahle, wofür die SPD und die OB die Prügel einstecken müssten.
„Destruktive Mehrheiten“ im Stadtrat
Die Aufgabe der SPD sehe er darin, „soziale Balancen“ durch konkretes Handeln in den Lebensverhältnissen der Stadt herzustellen. Das bedeute, in Bad Kreuznach einen Beitrag zu den großen Themen wie Wohnen, Klima oder Pandemie zu leisten. Umso erschreckender sei es, die Stadtpolitik in ihrem derzeitigen Zustand erleben zu müssen. „Es werden immer wieder destruktive Mehrheiten gefunden, einfach nur, um Projekte zu behindern und zu bekämpfen.“ Es werde versucht, das Wachstum des Mittelzentrums zu verhindern und insbesondere Geschosswohnungsbau zu blockieren. „In der CDU scheint sich eine Haltung durchzusetzen, die die Stadtentwicklung auf dem Status quo einfrieren will.“ Dabei lägen in der Stadtentwicklung wichtige Weichenstellungen auch für die Wirtschaft und deren Erfolg bei der Beschäftigten- und Azubisuche.
Trendumkehr bei Mitgliederzahlen
Mit dem Status der SPD hingegen gab sich Günter Meurer sehr zufrieden, was wesentlich mit den Wahlerfolgen der SPD und ihrer Kandidaten Michael Simon (Landtag) und Dr. Joe Weingarten (Bundestag) zu tun habe. Außerdem werde die Mainzer Ampel als Blaupause für die Regierungsarbeit in Berlin genommen. Die Wahrnehmung der SPD habe sich zum Guten gewendet, was aber „mit Sicherheit kein Grund für Hochmut“ sei. Denn trotz der momentanen Trendumkehr mit Parteieintritten in nennenswerter Zahl werde die Partei weiter schrumpfen, weil Jo-Jo-Effekte wegen einer geringen Bindung an Parteien zum Normalfall würden und das heute gewonnene politische Kapital schnell wieder verspielt sein könnte. Mehr dessen, was gemeinhin als Basisarbeit bezeichnet wird, soll diesem Effekt im Ortsverband entgegenwirken.
Denn mit Blick auf bevorstehende Veränderungsprozesse müsse man davon ausgehen, dass viele Wähler*innen von der SPD erwarten, dass sie die negativ spürbaren individuellen Konsequenzen fernhalte und das Gute bewahre. „Vor Härten schützen“ — dafür stehe die Sozialdemokratie, doch werde die Umsetzung eine absolute Gratwanderung sein. So könnte nach der Euphorie den Sozialdemokraten schnell ein harter Wind ins Gesicht wehen, wenn für steigende Energiepreise und Inflation „sehr bald Sündenböcke gesucht und auch sehr schnell gefunden werden“.
Mithin sei der politische Erfolg kein Selbstzweck, und politische Verantwortung zu schultern bedeute heute, für die Bewältigung der Aufgaben weniger Zeit denn je zuvor zu haben. Um in dieser Situation bestehen zu können, bedürfe es nach Meinung des Stadtverbandsvorsitzenden vor allem einer belastbaren sozialdemokratischen Haltung.
Wahlen
An der Spitze des SPD-Stadtverbandes steht weiter Günter Meurer (44 Ja-, 4 Neinstimmen, 8 Enthaltungen, Foto: rechts). Die Stellvertreter*innen sind weiterhin Claudia Eider und Markus Below (Mitte) sowie — neu gewählt — Christina Denker (nicht abgebildet). Neuer Kassenwart ist Yunus Senel (2. von links); ihn vertritt Julian Gampper (dahinter). Schriftführer sind Marvin Rungas (2. von rechts) und Christoph Gerber.
Thomas Gierse