Nimmt man die Bürgerveranstaltung "Nahverkehrsplan" im Mai 2013 als Auftakt einer intensivierten Diskussion über die Aufgaben, Möglichkeiten und Kosten eines verbesserten Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) in Bad Kreuznach, waren es seither fast acht Jahre der öffentlichen Diskussion sowie neun Stadtratsbeschlüsse mit dem Ziel, bessere Nahverkehrsangebote zu entwickeln. Die Stadtratsfraktion der CDU beantragt nun, in der Stadtratssitzung am heutigen Donnerstag das Ganze mit der Option auf eine Verschlechterung zu beenden.
In dem Antrag heißt es, dass „wir alle einen vernetzten, nutzerfreundlichen, leistungsfähigen und bezahlbaren ÖPNV“ haben wollen. Zur Bezahlbarkeit gehörten „flachen Hierarchien“, weshalb die Stadt nicht länger Aufgabenträger des ÖPNV sein, sondern diese Aufgabe dem Kreis überantworten solle.
Damit würde die finanzielle Verantwortung an den Landkreis abgegeben, aber ebenso jegliche Möglichkeit der Gestaltung was die Linienführung, die Einsatzzeiten und Taktung, die Ausstattung der Fahrzeuge oder den einheitlichen Fahrpreis in einer gemeinsamen Wabe für Bad Kreuznach und Bad Münster-Ebernburg betrifft.
Die Stadtverwaltung kommt in einer Stellungnahme zu dem Schluss, dass eine Abgabe der Aufgabenträgerschaft nachhaltig negative Folgen für den Stadtbusverkehr haben werde, etwa durch die Ausdünnung von Linien und Taktdichte bei der Anbindung der Stadtteile an das Zentrum. Erste Gespräche mit Verantwortlichen der Kreisverwaltung würden darauf hinweisen. „Ein vernetzter, nutzerfreundlicher, leistungsfähiger und bezahlbarer ÖPNV, den der Stadtrat mit dem ÖPNV-Konzept beschlossen hat, lässt sich auf diese Weise nicht realisieren“, urteilt das Fachamt.
Somit würde eine Entscheidung im Sinne der CDU-Fraktion bereits gefasste Beschlüsse und Ziele für die zukunftsfähige Verkehrsentwicklung der Stadt infrage stellen. Das Fazit der Verwaltung: „Das heißt, die lange angemahnte Anbindung des Wohngebietes Rheingrafenblick, die Verstärkerlinien ins Gewerbegebiet Schwabenheimer Weg und zum Salinenbad, ein einheitlicher Stadttarif mit BME, eine Citybuslinie werden nicht realisiert. Der 20-Minuten-Takt auf allen Linien, der zu der nötigen und gewünschten Vernetzung der Busse, zur Verknüpfung mit dem Schienenverkehr, zur Anschlusssicherheit am Busbahnhof und zu komfortablen Umstiegszeiten führt, wird es nicht geben.“
Die SPD
wertet die von der CDU gefordert Abgabe des ÖPNV an den Kreis aus rein finanziellen Motiven als kurzsichtig: „Zum einen werden wir zukünftig über die Kreisumlage bezahlen, ohne irgendeinen Einfluss ausüben zu können. Die Stadt verzwergt sich und macht sich zum Bittsteller und zahlt, was andere beschließen.“ Im Grunde verschiebe man hier die eigene Verantwortung an den ohnehin äußerst leistungsschwachen Kreis. „Dafür hat man uns nicht in den Stadtrat gewählt“, konstatieren die Sozialdemokraten.
Zum anderen wolle sich die CDU der Aufgabe entziehen, gerade für jene Teile der Bevölkerung, die Interesse an einem guten Angebot von ÖPNV haben, eine adäquate Versorgung zu sichern, nämlich ältere Menschen, Jugendliche, Gäste der Stadt oder Menschen, etwa Berufspendler, die auf ein Auto verzichten oder die Autonutzung reduzieren.
Noch im Dezember 2020 im Planungsausschuss für die Beteiligung der Stadt an der Kommunalisierung des ÖPNV zu stimmen und nun das Gegenteil zu beantragen, nennen Claudia Eider, Holger Grumbach und Günter Meurer in einer Mitteilung „ein weiteres Beispiel für die Ziellosigkeit und Unberechenbarkeit der CDU“.
Die Linke
„Offensichtlich sind Menschen, die Bus fahren, der CDU Bad Kreuznach deutlich weniger wert als solche, die Auto fahren“, schreibt der Linken-Fraktionsvorsitzende Jürgen Locher in einer Mitteilung. Anders lasse sich nicht erklären, dass die CDU für dieselbe Stadtratssitzung sowohl Anträge zum Rückzug aus dem ÖPNV als auch zur baldigen Ausführung von Markierungsarbeiten auf öffentlichen Verkehrsflächen stelle.
Auch sei die Begründung der CDU nicht stichhaltig: Denn es „wissen alle Beteiligten, die es wissen wollen, dass die Hierarchie, ob die Stadt nun dabei ist oder nicht, völlig unverändert bleibt“. Auch müsse die Stadt ohnehin die Kosten über die Kreisumlage mittragen. Schließlich seien die vom Stadtrat beschlossenen Klimaziele nur mit einer sozial-ökologischen Verkehrswende zu erreichen. Hierzu gehöre unabdingbar ein gut ausgebauter Öffentlicher Personennahverkehr mit niedrigen Preisen.
PBK
„Kein Mitspracherecht, schlechtere Verbindungen, aber blechen: Darauf lässt sich der CDU-Antrag eindampfen“, meint Stefan Butz, Stadtratsmitglied von „Progressives Bad Kreuznach“. Die Senior*innen und Azubis, arme und behinderte Menschen - wer auf den Busverkehr angewiesen ist, werde von der CDU abgestraft. „Denn die fährt schließlich Mercedes und keinen Linienbus.“
Außerdem sei die Begründung der CDU widersprüchlich, wenn sie zwar „einen vernetzten, nutzerfreundlichen, leistungsfähigen und bezahlbaren ÖPNV“ haben möchte, also ein Plus an Busverkehr, Linien und Taktung, aber dann von alldem weniger beantrage. Und flache Hierarchien schaffe man, indem man Teil eines Teams wird, nämlich der neuen ÖPNV-Gesellschaft mit den Kreisen Mainz-Bingen und Bad Kreuznach.
Die Grünen
Andrea Manz und Hermann Bläsius, Fraktionsvorsitzende der Grünen, reiben sich (wieder) „verwundert die Augen ob der Kehrtwenden in der Kreuznacher Stadtpolitik“. Mit großer Mehrheit (37 ja, 1 nein, 1 Enthaltung) habe der Stadtrat im November 2019 für einen zukunftsträchtigen ÖPNV in der Stadt Bad Kreuznach gestimmt - auch für die gemeinsame Wabe im gesamten Stadtgebiet.
Nun zieht sich die Stadtbus GmbH zurück. Zwei Linien wurden per „Notvergabe“ neu organisiert, weitere drei Linien werden folgen. Geschehe dies in der Verantwortung des Kreises, werde nach Einschätzung der Grünen zu merken sein, dass der Kreis, wie es unter anderem vom CDU-Fraktionsvorsitzenden zu hören gewesen sei, kein besonderes Interesse am städtischen Busverkehr habe und diesen nicht umfassender ausstatten werde als in den anderen Gemeinden. „Das kann so nicht Bad Kreuznacher Interesse sein. Ein funktionierender, nutzerfreundlicher ÖPNV gehört zur Daseinsvorsorge.“
Thomas Gierse
Archivfoto: Die Schaffung einer gemeinsamen Preiswabe über die ehemaligen Stadtgrenzen im Salinental hinaus galt seit 2014 als ein Kernanliegen der Bad Kreuznacher Kommunalpolitik. Davon möchte die CDU nun abweichen.